ドイツ語版 『神々の選択』
オリジナルタイトル:Die Wahl der Götter
Eine Stimme ertönte in der Dunkelheit, fern und dumpf, die Worte waren unverständlich, aber sie schien jemanden zu rufen. Langsam wurde es heller und eine sanfte Brise wehte zwischen Laub umher. Während nach und nach das Gefühl in die Gliedmaßen zurückkehrte, öffnete Seikan seine Augen und blickte in den klaren, blauen Himmel. Die Sonne schien durch die hohen Baumkronen auf das taunasse Gras und der kalte Boden und die winterliche Luft ließen den Blondschopf ein wenig frieren. Vorsichtig richtete er sich auf und schaute sich träge um. Ein kleiner Hain, umgeben von dichtem Wald so weit das Auge reichte, und ein winziger Holzschrein waren alles, was es zu sehen gab. Nur unweit von ihm lag ein junger Mann mit haselnussbraunen Haaren im feuchten Gras und kam allmählich wieder zu Bewusstsein. Er war etwas größer als Seikan und trug die Uniform eines Host Clubs in der Innenstadt, in welcher Seikan noch wenige Momente zuvor war, ehe er das Bewusstsein verlor.
„Hey du!“, machte sich plötzlich ein Junge neben ihm bemerkbar. Seiner Körpergröße nach war er vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, hatte tiefschwarzes Haar und sagenhaft leuchtend rote Augen, die im Moment direkt auf Seikan gerichtet waren.
„Weißt du, was passiert ist?“, erkundigte der Junge sich, als Seikan seinen Kopf benommen zu ihm drehte.
„Tut mir Leid, nein“, erwiderte der Blonde und stand auf. „Wo sind wir hier?“
„In einem Wald“, entgegnete der Junge knapp und warf Seikan einen Es-ist-doch-wohl-klar-wo-wir-sind-Blick zu. Als würde Seikan die Gedanken seines Gegenüber hören, erwiderte er den Blick genervt und seufzte.
„Ich bin Seikan“, stellte sich der Blondschopf vor und lächelte, doch der Junge drehte sich weg und sagte: „Du kannst mich Ryō nennen.“
„Ryō“, wiederholte Seikan leise, als sich der junge Mann zu ihnen gesellte.
„Mein Name ist Kenzō“, stellte dieser sich vor, schritt dann aber hinüber zu einer jungen Frau, die ebenfalls im Gras lag und nun die Augen öffnete. „Und Euer Name lautet?“, fragte er sie und reichte ihr seine Hand. Verwirrt ergriff sie sie und murmelte: „Haru.“ Zu mehr kam sie auch nicht, da auf einmal jemand anderes auf die vier Verwirrten zugelaufen kam und sich in ihre Mitte stellte.
„Ich bin Shō! Merkt euch diesen Namen gut, denn ihr werdet noch viel von mir hören!“, rief er grinsend und rieb sich selbstsicher die Nase. Während Ryō bereits etwas abseits stand und Kenzō und Haru miteinander beschäftigt waren, schaute Seikan den aus dem Nichts aufgetauchten jungen Mann an. Er hatte etwa die gleiche Größe und Statur wie er selbst, violette Haare und hellgrün schimmernde Augen.
„Freut mich“, erwiderte Seikan überrascht und sah sich genauer um. „Weiß einer von euch, was passiert ist oder wo wir sind?“, fragte er in die Runde, doch als Antwort bekam er nur monotones Kopfschütteln.
„Ich“, begann Haru, „ich erinnere mich noch daran, dass ich auf dem Weg in die Schule war.“ Sie hatte rotes Haar, das sie zu einem Zopf gebunden trug, und hatte die Uniform ihrer Schule an.
„Haru, richtig?“, fragte Seikan, worauf die Angesprochene zögerlich nickte, „Das ist die Uniform der Schule, auf der ich auch bin!“
„Ah, ja. Ich habe heute meinen ersten Tag, zumindest sollte ich ihn haben“, erklärte sie und blickte zu Boden.
„Eine Schulwechslerin, also“, meinte der Blonde und ging hinüber zu dem kleinen Schrein, welcher sehr unscheinbar am Waldrand aufgestellt war. Auch von Näherem war er nichts Besonderes. Zwei winzige Holztore schützten das Innere des Schreins vor dem Wetter und einige merkwürdige Zeichen standen darüber.
„Ich kann es nicht lesen“, murmelte Seikan leise, als er bemerkte, dass Ryō plötzlich neben ihm erschienen ist.
„Schrein des Shintō“, las der Junge vor und gerade, als Seikan seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, fuhr er fort, „ein Schrein für jemanden oder etwas namens Shintō.“ Seikan verstand, dass dieser Schrein nichts mit dem japanischen Shintōismus zu tun hatte, aber...
„Woher weißt du, was da steht?“, hakte er nach, doch Ryō, der wie aus tiefer Gedankenversunkenheit erwachte, zog nur die Augenbrauen hoch und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich weiß es nicht.“ Verstört starrte er die Zeichen an und murmelte dann „Eigentlich habe ich diese Schrift noch nie gesehen, aber ich weiß, was da steht... irgendwie.“
„Jetzt, wo du es sagst“, schaltete sich nun auch Kenzō ein, „ich kann es auch lesen!“ Völlig durcheinander sahen die drei abwechselnd zum Schrein und zueinander, während auch Haru und Shō sich an den Ort des Geschehens begaben. Irgendetwas sehr Merkwürdiges läuft hier, war der Gedanke, den sie alle fünf miteinander teilten. Und obwohl alles so neu wirkte, so fremd für sie war, der Ort, die mysteriöse Schrift, ja sogar die Menschen, die das gleiche Schicksal hatten, lag doch etwas tief Vertrautes in all dem.
„Wir sollten uns mal umsehen. Vielleicht ist in der Nähe jemand, der uns helfen kann“, schlug Kenzō vor, aber obwohl es nach einem guten Vorschlag klang, machte der junge Mann einen ratlosen Gesichtsausdruck. Ryō versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch als ob er seine Gedanken hören könnte, bemerkte Seikan, dass auch Ryō nicht von der allgemeinen Verwirrung verschont blieb. Shō hingegen verstand es, falls er überhaupt Unsicherheit verspürte, diese gekonnt zu überspielen. Im Gegenteil wirkte es, als würde er voller Tatendrang in ein großes Abenteuer marschieren. Kenzō legte Haru, die noch bei Seikan am Schrein stand, seine Hand auf ihren Rücken und schob sie sanft in Richtung eines kleinen Trampelpfades, der durch den dichten Wald zu führen schien. Der morgendliche Nebel waberte noch flach über den Boden und kleine Eiskristalle umrahmten schimmernd die ersten grünen Blätter des Jahres. Gemeinsam gingen Haru, Kenzō, Ryō, Seikan und Shō den schmalen Weg entlang und hofften, an seinem Ende Antworten auf ihre vielen Fragen zu finden.
„... Kenzō, mein Herr Kenzō...“
Immer wieder ertönte die Stimme im Kopf des jungen Mannes, während er schlief.
„Hilf mir...“
Schreckhaft wachte er auf. Schnell atmend blickte er sich um, doch es war alles so, wie es war, bevor er eingeschlafen war. Ryō hatte sich in seinem Bett zusammengekauert und auch Haru schlief seelenruhig. Shō und Seikan hingegen schnarchten um die Wette, wobei beide vollkommen quer in ihren Betten lagen. Kenzō lächelte und gähnte dann, eher er sich umdrehte und weiterschlief.
Auf ihrem Weg durch den Wald begegneten die fünf Jugendlichen einem kleinen einheimischen Mädchen von nicht mal zehn Jahren, die ihnen mit strahlenden Augen den Weg in eine kleine Siedlung am Rande des dichten Waldes zeigte. Sie war nur unwesentlich kleiner als Ryō, der, wie er protestierend anmerkte, bereits 15 Jahre alt war. Kenzō hingegen, der mit seinen 19 Jahren und über 1,80 Meter Körpergröße sowohl der Älteste als auch der Größte der fünf Fremden war, beschäftigte sich mehr mit der Frage, warum die Bewohner der Siedlung, die allesamt Menschen waren – was den Einheimischen nach wohl eine Seltenheit war – ebenfalls die Sprache der Neuankömmlinge beherrschten. Japan war ihnen unbekannt, zumindest kam auf die Frage, ob sie noch in Japan seien, große Verwirrung auf. Die Siedlung selbst hatte offenbar keinen Namen, aber man erklärte ihnen, dass der Kontinent, auf dem sie sich befanden, seit jeher den Namen Kaijū trug. Dass es auf der Erde jedoch keinen solchen Kontinent gab, war jedem der Fünf klar, aber die Menschen der Siedlung waren zu fortschrittlich und gebildet, als dass es sich um Eingeborene einer bisher unbekannten Insel oder so etwas hätte handeln können.
Kaijū also“, murmelte Seikan am nächsten Morgen beim Frühstück, „sind wir nicht mehr auf der Erde?“ Trotz des fragenden Blickes schoben sich er und auch Shō nach und nach die Speisen in den den Mund, die vom Herrn des Hauses bereitgestellt wurden. Auch wenn alles etwas anders war, als sie es gewohnt waren, gab es Brot, Eier, verschiedene Aufstriche, ja sogar eine Art Reis gab es, wenngleich seine leicht bläuliche Farbe die Genießbarkeit dieses Lebensmittels in Frage stellte.
„Viel wichtiger als das ist doch, wie wir wieder nach Hause kommen“, warf Haru ein und nahm einen Schluck Wasser zu sich, wohingegen Ryō die auffällig bräunliche Flüssigkeit kostete. Sowohl Farbe als auch Konsistenz des Getränks – falls es denn eines war – waren von eher fragwürdiger Natur, weswegen alle Blicke auf den schwarzhaarigen Jungen gerichtet waren.
„Es schmeckt ein bisschen wie Bratensauce... nur viel süßer“, erklärte er und schenkte sich nach. Unbeeindruckt von den immer noch angewidert dreinblickenden Tischnachbarn nahm er noch einen Schluck und setzte den Kelch dann mit ernster Miene ab.
„Wir stecken in Schwierigkeiten, das steht wohl außer Frage“, begann er und starrte in die Luft, „denn obwohl hier Menschen sind, die unsere Sprache sprechen, können sie uns weder sagen, wo wir uns befinden oder wie wir zurückkommen.“
„Geht ihr wieder?“, fragte das Mädchen, dass ihnen zuvor im Wald begegnet war. Sie hatte die Fremden längst in ihr Herz geschlossen und war noch zu jung, um die Situation, in der sie steckten, in ihrem gesamten Ausmaß zu verstehen. Kenzō lächelte schwach und ging zu ihr.
„Hör mal, Shiomi, das hier alles, das ist nicht unser Zuhause“, versuchte er ihr mit leichten Worten zu erklären, aber sie sah ihn immer nur stumm mit großen Augen an.
Er ist echt gut in sowas, war Ryōs Gedanke, den die anderen mit ihm teilten. Mittlerweile ertappte Seikan sich immer wieder dabei, wie er glaubte, die Gedanken des Schwarzhaarigen hören zu können, als ob dieser sie laut ausspräche.
„Ich will aber nicht, dass ihr schon geht!“, quengelte sie mit hoher Stimme, doch Kenzō legte ihr seine Hand auf den Kopf und erwiderte: „Noch sind wir ja nicht weg und wir werden dich auch bestimmt besuchen kommen.“ Shiomi hörte auf zu quengeln und wischte sich mit einem Ärmel die Tränen aus den Augen.
„Versprochen?“, fragte sie leise, als er sich umdrehen wollte, und hielt ihn am Ärmel fest. Der junge Mann zögerte für einen Moment, hockte sich dann aber lächelnd hin und flüsterte: „Versprochen!“ In dem er sich von ihr abwandte, verfinsterte sich seine Miene. Sowohl ihm als auch den vier anderen war bewusst, dass, falls sie diesen Ort verlassen könnten, es keine Garantie dafür gab, dass sie hierher zurückkehren konnten. Im Moment mussten sie sich damit arrangieren, in dieser Welt gefangen zu sein, aber ihr einziger Gedanke drehte sich allein um die Rückkehr in ihre eigene Welt.
Die Tage zogen ins Land und mittlerweile hatten sich Shō, Seikan, Haru, Kenzō und Ryō an den Alltag des Dorfes gewöhnt, doch ihr Wunsch nach Hause zu kommen wurde dadurch nicht gemindert. Kenzō saß an einem schmalen Bach in der Nähe des Dorfes und beobachtete die kleinen silbernen Fische im klaren Wasser. Er machte sich Vorwürfe, da er Shiomi falsche Hoffnungen gemacht hatte, um seinen Kopf sowie auch die Köpfe der anderen aus der Schlinge zu ziehen. Zwar ist er als Host oft mit solchen Situationen konfrontiert, doch einem kleinen Kind so etwas anzutun, wiegt schwerer.
„Hier bist du“, kam es plötzlich von hinter ihm, „Haru meinte, ich solle mal schauen, wo du steckst.“ Es war Ryō, der sich nun neben Kenzō ins Gras setzte. Überrascht verfolgte Kenzō die Bewegungen des Jungen, denn Ryō erschien bislang wenig Gesellschaft zu suchen. Er seufzte, während er seinen Blick wieder auf die schimmernde Wasseroberfläche richtete, und fragte dann: „Meinst du, ich habe einen Fehler gemacht?“ Ryō schwieg und starrte ebenfalls zu den Fischen. Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden, aber da Kenzōs Frage keiner Antwort bedurfte, war sie in keinster Weise unangenehm. In Wahrheit war allein Ryōs Anwesenheit wohltuend für das Gewissen des jungen Mannes, es war, als ob Ryō sagen wollte, dass er genau gleich entschieden hätte, wenn er an Kenzōs Stelle gewesen wäre.
„Wolltest du überhaupt Host werden?“, fragte Ryō plötzlich und war dabei sehr direkt. „Immerhin gibst du deinen Kundinnen doch auch falsche Versprechen, oder?“ Als hätte Ryō Kenzōs Gedanken gelesen, traf er den Nagel auf den Kopf und streute unnötig Salz in die Wunde. Innerlich musste Kenzō lachen, denn die schonungslos direkte Art des Schwarzhaarigen, der dabei auch noch desinteressiert, wenn nicht sogar genervt wirkte, war auf eine humorvolle Art erfrischend.
„Eigentlich hatte ich nie die Absicht dazu“, gestand er, „aber ich hatte keine Wahl. Für meinen Bruder musste ich...“ Kenzō stoppte. Verwirrt schaute Ryō ihn von der Seite an, als der junge Mann mit weit aufgerissenen Augen in die Luft starrte. Er hatte doch gar keinen Bruder, nie gehabt, und trotzdem hatte er das Gesicht eines vielleicht zwölfjährigen Jungen mit silbernen Haaren und eisblauen Augen vor sich, der Kenzō in diesem Alter den Gesichtszügen nach zum Verwechseln ähnlich sah. Wer war er nur? Ein Bild, das er irgendwann einmal gesehen hatte, oder vielleicht ein Kindheitsfreund? Oder hatte Kenzō sich in diesem Moment an etwas erinnert, was so tief in seinem Unterbewusstsein verborgen war, dass es drohte, verloren zu gehen?
„Was hast du?“, erkundigte Ryō sich, da ihm der geschockte Blick des jungen Mannes nicht entgangen war.
„Es... es ist nichts“, murmelte dieser und schüttelte den Kopf, „ich habe mich nur gerade an etwas erinnert.“ Ryō verstand, dass es der Wahrheit entsprach, was er sagte, aber Kenzō nicht näher darauf eingehen wollte. Der Schwarzhaarige war gerade im Begriff, sich nach hinten ins Gras fallen zu lassen, als Haru plötzlich aufgeregt hinter den Beiden auftauchte.
„Hier steckt ihr!“ Kommt, schnell, im Dorf geht gerade etwas sehr Merkwürdiges vor sich!“, rief sie außer Atem und deutete immer wieder auf den sonderbaren Lichtschein, der vom Dorfzentrum ausging. Rasch erhoben sich Kenzō und Ryō und folgten Haru zurück in die Siedlung. Vor Ort herrschte großes Chaos und einige Leute hatten sich bereits im Zentrum versammelt. Als Haru und kurz darauf auch die beiden anderen eintrafen, war das Licht schon wieder verschwunden und der Dorfälteste hatte auf einem hölzernen Podest Position bezogen, während die Menge wild durcheinander redete.
„Haru, hier drüben!“, rief Seikan, der mit Shō etwas weiter vorne in der Menge stand.
„Habt ihr noch das Licht gesehen?“, fragte Kenzō, kaum dass sie bis zu den beiden jungen Männern vorgedrungen waren.
„Leider nicht, wir sind auch erst kurz vor euch gekommen“, erklärte der Blondschopf, als Shō ihm auf einmal einen leichten Hieb in die Seite verpasste, da der Dorfälteste zu sprechen begonnen hatte.
„Liebe Freunde, ihr habt es gehört. Es ist genau das eingetreten, wovor viele von uns sich gefürchtet hatten: das jährliche Opfer, um das Monster von unserem kleinen Dorf fernzuhalten, reicht nicht mehr aus. Viele Leben mussten wir opfern, viele Seelen in die Hände unserer Götter legen, um unser aller Fortbestand zu sichern. Doch das Monster ist erneut erwacht, die Natur ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es liegt an den Göttern, das Schicksal von einer oder einem von uns zu besiegeln!“, rief er mit kräftiger Stimme, während die Menge schweigend seinen Worten lauschte.
„Ich glaube, das ist unsere Schuld“, flüsterte Shō und Seikan nickte bedrückt.
„... Gäste bitten, dies zu übernehmen!“, ertönte wieder die Stimme des Ältesten. Verwirrt wechselten die Angesprochenen Blicke. Sie haben nicht genau verstehen können, was er gesagt hatte. Zu weit weg standen sie vom Podest und konnten nur grob die Worte des Dorfvorstehers hören.
„Übernehmt ihr die Leitung der Auswahlzeremonie?“, fragte dieser sie nun direkt und sah sie erwartungsvoll an.
„Klar, kein Thema!“, rief Shō zurück, nur um sich einen Moment später zu Seikan hinüber zu lehnen und zu fragen: „Um was geht es?“ Als hätten sie sich abgesprochen, warfen Seikan, Ryō, Haru und Kenzō ihm einen unmissverständlich genervten Blick zu.
„Sehr schön! Die Zeremonie finde morgen Abend im Tempel statt!“ Mögen nicht die auserwählt werden, die ihr Leben noch zu leben haben!“, rief der Dorfälteste mit ernster Miene und verließ das Podest dann mit langsamen Schritten.
„Mensch, Shō!“, brüllte Haru, als sie nach der Versammlung in ihre Unterkunft zurückgekehrt waren.
„Du hast uns da echt was eingebrockt“, stimmte Kenzō ein. Ryō saß derweil etwas abseits am Fenster und beobachtete, wie die Schneeflocken leise zu Boden fielen und das Dorf in ein weißes Gewand hüllten. Eine Weile schwiegen sie sich nur an, bis Seikan auf einmal das Wort ergriff und die Stille durchbrach.
„Sagt mal“, begann er, „euch ist es doch auch aufgefallen, oder?“ Fragende Blicke wurden ausgetauscht und selbst Ryō horchte auf. „Euch ist doch auch aufgefallen, dass uns, seit wir im Wald aufgewacht sind, immer wieder seltsame Dinge passieren, oder?“, warf der Blondschopf in den Raum.
„Stimmt“, erwiderte Haru zögerlich, „jetzt, wo du es sagst. Ryō, du konntest zum Beispiel die Schrift auf dem kleinen Schrein im Wald lesen.“
„Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, Ryōs Gedanken zu kennen“, gestand Seikan, woraufhin der Schwarzhaarige errötete, als wäre er belauscht worden
„Ich sagte vorhin, ich hätte einen Bruder, sogar sein Gesicht habe ich vor Augen, dabei bin ich ein Einzelkind“, bemerkte Kenzō nachdenklich.
„Also, ich habe nichts komisches gemerkt“, warf Shō ein, während er genüsslich auf einem Stück Fleisch kaute. Wieder erntete er böse Blicke für seine Anmerkung, obwohl er wohl damit der Normalste unter ihnen war. Selbst Haru glaubte sich an Bruchstücke von etwas zu erinnern, als hätte sie vor langer Zeit etwas erlebt und dann vergessen. Überall sah sie die schillernden Augen eines Wolfes, die ihr so bekannt vorkamen und doch so fremd waren.
„Also sind wir uns einig, dass irgendetwas mit uns geschieht, was über unser Verständnis hinausgeht“, fasste Kenzō zusammen und fügte dann ein „Und nun?“ hinzu. Die Antwort darauf bestand aus ratlosen Gesichtern und allgemeinem Schulterzucken, sowie unüberhörbarem Schmatzen aus Shōs Richtung.
„Wir sollten vielleicht besser für heute schlafen gehen“, schlug Haru vernünftigerweise vor, „es ist bereits spät und es scheint, als hätten wir morgen viel zu tun.“ Zustimmendes Nicken und ein langes Gähnen von Seikan waren Grund genug, sich von den Stühlen zu erheben und für die Nacht vorzubereiten. Keine wusste, was am nächsten Tag auf sie zukam, doch eines war sicher: egal, wer auserwählt wird, die Fünf trugen wohl die Schuld am kommenden Tod eines Dorfbewohners.
„Meister Kenzō... helft... brauche... ich... Ruine...“
Kenzō wachte auf, sein Gesicht war so bleich, als hätte er einen Geist gesehen.
„Was ist?“, fragte plötzlich Seikan, der wohl mitbekommen hatte, wie Kenzō sich durch einen Traum quälte.
„Es ist nichts, schlaf weiter“, entgegnete der junge Mann knapp und drehte sich dann auf die andere Seite, um weiterzuschlafen.
„Guten Morgen!“, begrüßte Shō die bereits Frühstückenden energiegeladen und gut gelaunt. Schnell war sein Teller mit allerlei Essen behäuft und sein Kelch gefüllt. Während er hastig aß, stocherte Kenzō nur in einer kleinen Schale voller Getreidebrei mit Obst herum. Dunkle Ringe zeichneten sich unter den trüb dreinblickenden, grünen Augen ab und seine Haare standen wild in alle Richtungen ab.
„Bist du sicher, dass nichts ist?“, hakte Seikan besorgt nach. Der Blondschopf saß Kenzō gegenüber und beobachtete aufmerksam die stochernde Bewegung des löffelähnlichen Bestecks.
„Um die Wahrheit zu sagen, nein“, gestand der Angesprochene gähnend und schob sich dann etwas widerwillig sein Frühstück in den Mund. „Jede Nacht habe ich den selben Traum, ein Mensch ohne Gesicht gehüllt in Licht ruft meinen Namen und fleht um Hilfe, nichts weiter.“
„Was das wohl zu bedeuten hat“, dachte Haru laut.
„Nach all den seltsamen Vorkommnissen seit wir hier sind, würde es mich nicht wundern, wenn es kein Zufall ist, dass du diesen Traum hast, Kenzō“, mischte sich Ryō ein, starrte dabei aber wieder aus dem Fenster.
„Was immer es auch zu bedeuten hat“, begann Kenzō und schob seinen Brei heimlich zu Shō hinüber, „im Moment gibt es wichtigeres als einen Traum, um das wir uns kümmern sollten.“ Die anderen nickten zustimmend, als Shō das Wort ergriff.
„Wir sollten erst einmal zum Dorfältesten gehen“, meinte er und begann Kenzōs Brei zu essen, ohne überhaupt zu merken, dass er sich gar keine Schale mit Brei genommen hatte.
„Was denkt ihr?“, begann Haru schließlich und legte ihr Frühstück zur Seite, „Was denkt ihr, warum wir hier sind?“ Die Frage war berechtigt, denn bisher waren alle damit beschäftigt, nach einem Weg nach Hause zu suchen, ohne sich darum Gedanken zu machen, warum sie eigentlich in diese Welt gekommen waren. So vieles war neu, so vieles anders, als sie es von Zuhause kannten. Zuhause, die Bedeutung des Wortes lag irgendwo zwischen dem Ort, an dem man geboren wurde, und dem Ort, an dem man lebte. Und je länger sie hier waren, hier lebten, ohne eine Chance auf Rückkehr, desto mehr nahm das Wort „Zuhause“ die Bedeutung eines Ortes an, der einem vorbestimmt ist, ein Ort, an dem du lebst, ob du willst oder nicht. Ein Ort, der dazu dient, dir bewusst zu machen, was du erreicht hast und was es noch zu erreichen gibt.
Kenzō erinnerte sich daran, was er zu Shiomi gesagt hatte: „Das hier ist nicht unser Zuhause.“ Doch lag er mit dieser Annahme vielleicht nicht so richtig, wie er es vor kurzem noch dachte? Die Menschen hier waren zwar ein bisschen sonderbar, immerhin bewegten sie sich in einer den Fünf völlig fremden Kultur – wenngleich es auch einige, sogar letztlich überraschend viele Parallelen gab – aber sie waren freundlich und nur darauf kam es an. Sie haben uns aufgenommen und ihr Essen mit uns geteilt, dachte Kenzō und musste lächeln, denn auch wenn sie nicht freiwillig hier waren, so hatten sie doch ein wenig Wurzeln geschlagen, sich eingelebt und Freunde gefunden. Und das alles dank Shiomi, dem Mädchen, dass die Fünf im Wald zufällig gefunden und mit ins Dorf gebracht hatte. Waren sie dabei, dieses Dorf zu ihrer Heimat, ihrem Zuhause werden zu lassen und sich damit abzufinden, vielleicht nie wieder nach Hause zu finden?
„Wir können nur spekulieren“, warf Ryō berechtigterweise ein, „wir wissen so gut wie gar nichts, niemand hier im Dorf hat eine Antwort auf unsere Fragen. Ob es sich um Zufall, Schicksal, oder vielleicht einen kosmischen Unfall handelt, werden wir nicht durch bloßes Überlegen herausfinden!“
„Ryō hat Recht. Wir haben alles an Informationen, das uns nützlich erschien, bereits vollständig untersucht“, merkte Kenzō an und zeigte auf einen unordentlich zusammengelegten Haufen Papier, auf dem diverse Notizen zu allerlei Themen gemacht wurden. Shō seufzte und schob die leere Schale zurück zu Kenzō, der einen Blick aufsetzte, als ob er beim Versuch, heimlich sein weniger schmackhaftes Essen weiterzureichen, ertappt worden sei.
„Ich verstehe gar nicht, warum ihr euch so sehr den Kopf darüber zerbrecht“, sagte Shō dann, „immerhin geht es uns gut, wir sind gesund und vor allem leben wir noch. Und das ist etwas, was in unserer Situation nicht unbedingt normal ist!“ Die anderen schwiegen überrascht, denn was Shō sagte, war zwar offensichtlich, aber weit mehr als das war es wahr. Es ging ihnen zu keinem Zeitpunkt schlecht, obwohl sie weder wussten, wo sie eigentlich waren, noch zu einer Rückkehr in der Lage waren. Darüber hinaus waren sie nicht auf sich alleine gestellt.
„Wir wären wohl schon tot, wenn es dieses Dorf nicht gegeben hätte“, meinte Seikan und blickte auf sein Essen.
„Wie wäre es dann, wenn wir in den kommenden Tagen mal die Gegend erkunden?“, fragte Shō und machte damit einen ziemlich sinnvollen Vorschlag. Die anderen nickten zustimmend. Der erste Eindruck, den Seikan am Anfang von seinem Begleiter hatte, war nicht sonderlich gut. Seinem Äußeren und seiner Art nach wirkte Shō wie ein dickköpfiger, draufgängerischer und selbstverliebter Oberschüler, der sich rücksichtslos in jedes beliebige Abenteuer stürzen würde – wobei man ähnliches wohl auch über den ersten Eindruck von Seikan sagen könnte – und weniger wie jemand, der auch an andere dachte.
„Glaubst du denn, dass wir etwas finden werden?“, fragte Haru und runzelte die Stirn. „Immerhin sollten die Dorfbewohner doch wissen, was alles in der näheren Umgebung ihrer Heimat ist, oder etwa nicht?“
„Das stimmt wohl“, entgegnete Shō, „aber wir haben doch eh keine andere Wahl.“ Hin und her gerissen zwischen Logik und Verzweiflung trat eine bedrückende Stille im Zimmer ein, bis einige Augenblicke später der Dorfälteste, der schon eine Weile unbemerkt im Türrahmen stand, auf sich aufmerksam machte.
„Es existiert eine alte Ruine tief im Wald hinter der Lichtung, auf der ihr aufgewacht seid“, begann der Alte und hob die Augenbrauen an, „aus dem Dorf war seit Jahrhunderten niemand mehr dort, da sie umringt von Bergen in einem tiefen Tal liegt, das nicht einfach zu erreichen ist.“
„Ist dieser Wald echt so groß?“, fragte Shō und kratzte sich am Kopf.
„In der Tat, dieser Wald erstreckt sich um das gesamte Zenitgebirge.“
„Zenitgebirge?“, hakten die Fünf einstimmig nach.
„Ja, das Zenitgebirge ist eine kreisförmige Gebirgskette, die das unbekannte Zentrum unseres Kontinents vom Rest der Welt abschottet. Legenden erzählen, dass sich dort die Brücke in die Welt der Götter befindet“, erklärte der Alte mit ruhiger Stimme.
„Woher weiß man denn, dass sich dort eine Brücke befindet, wenn dieser Ort von der Außenwelt isoliert ist?“, wollte Haru wissen, die völlig fasziniert den Dorfältesten anstarrte und seinen Worten lauschte.
„Weil einige wenige Wesen den beschwerlichen Weg über den Pass am Zenitfluss gewagt haben, doch alles, was sie im Zentrum fanden, waren Mauern, die bis in die Wolken ragten, und ein mächtiges Tor, auf dem in der Sprache der Götter der Weg in ihre Welt geschrieben stand. Niemandem, der jenes Tor erreicht hatte, konnte es passieren und offenbaren, was sich wirklich dahinter befand“, erzählte er und blickte ernst in die Runde. Dann lächelte er und sagte: „Aber das ist für euch nicht weiter von Belang. Wenn ihr die Ruine im Wald sehen wollt, rate ich euch, nachts aufzubrechen, damit ihr am nächsten Tag noch ankommt, bevor die Sonne untergeht. Doch ob ihr dort Antworten findet, weiß ich nicht.“
Wortlos blickten die Fünf den Alten an, denn einerseits erschien es ihnen lächerlich, seine Geschichte zu glauben, da sie mehr an Aberglauben grenzte als an Realität, aber andererseits war das, was sie bisher erlebt haben, auch alles andere als natürlich. Ob die Worte des Dorfältesten der Wahrheit entsprachen oder nicht, würden sie wohl ohnehin nicht erfahren, solange sie vorher eine Möglichkeit fänden, wieder in ihr wirkliches Zuhause zurückzukehren.
„Diese Ruine“, griff Kenzō dann auf, „was werden wir dort finden?“
„Nun, früher war sie ein Ort, der dem Frieden unserer Welt gewidmet war. Einst soll er auf einem Schlachtfeld erbaut worden sein, eine weite Ebene ohne Leben, doch dann wuchsen Bäume um ihn und Wesen fanden dort ein Zuhause. Der Tempel geriet zwar nicht in Vergessenheit, aber nur wenige wagen sich in das Herz des Waldes, nicht zuletzt deswegen, weil gesagt wird, dass das Monster in ihm ruht“, sagte der Alte. Trotz seiner ruhigen Stimme war deutlich die Furcht vor dem Ungetüm zu hören.
„Dieses Monster, habt ihr nie versucht, es zu bekämpfen?“, fragte Seikan, doch der Dorfälteste seufzte.
„Wir haben es versucht, zwei Mal, und beide Male konnten wir nichts ausrichten. Ganze Familien wurden unter zertrümmerten Häusern begraben, gute Menschen haben ihr Leben dafür gegeben, uns vor Augen zu führen, dass wir keine andere Wahl haben, als ein Opfer darzubringen, um es zu besänftigen.“
„Wieso zieht ihr nicht einfach um?“, wollte Shō wissen, doch auch dieses Mal seufzte der Alte nur.
„Es bringt nichts. Wenn wir umsiedeln, weiter weg von diesem Ort, wird es uns finden und womöglich mehr Opfer fordern. Beim letzten Mal, als wir umsiedelten, wurde unser halbes Dorf in Schutt und Asche gelegt. Wenn wir dieses Land verlassen und uns noch weiter entfernen, wird vielleicht unser Dorf verschont, aber dann wird es eine andere Siedlung finden, die sich genauso wenig oder sogar weniger zur Wehr setzen kann. Nur die Götter können uns helfen, diesem Schicksal zu entkommen.“ Bedrückt wandte er sich zum Gehen, blieb aber zögernd stehen. „Egal, was heute Abend auch passieren mag, macht bitte nichts Unvernünftiges! Was geschieht, geschieht nach dem Willen der Götter. Wir haben nicht das Recht, geschweige denn die Macht, uns diesem Willen zu widersetzen!“, sagte er abschließend und verließ sie dann. Fragend sahen sie sich an, als Seikan dann meinte: „Was glaubt er denn, was wir machen?“
„Das Wesen angreifen und verhindern, dass jemand wegen uns stirbt“, erklärte Shō, in dessen Blick eine gefährliche Entschlussfestigkeit zu sehen war. Keiner wollte es aussprechen, aber jeder fühlte in diesem Moment genauso wie Shō, sie fühlten sich verantwortlich für das, was geschah und noch geschehen wird.
Langsam wurde es Abend und die fünf Freunde versuchten sich einerseits auf ihre Aufgabe vorzubereiten, aber andererseits wollten sie sich ablenken, um den aufkeimenden Schuldgefühlen aus dem Weg zu gehen.
„Was geschieht, geschieht nach dem Willen der Götter“, hatte der Dorfälteste gesagt, doch beruhigend war es keineswegs. Auch wenn es für den Alten die Wahrheit war, die er sprach, ein unumstößlicher Fakt, so erschien es ihnen mehr wie ein Aberglaube, ein Hirngespinst, wie es sie auch in ihrer Heimat viel gab. An sich glaubten Japaner viele Dinge, was nicht zuletzt an ihrer Multireligiosität lag, aber dass in der heutigen Zeit jemand noch derart von Göttern und Aberglauben bestimmt wird, ist doch sehr selten geworden. Aber sie befanden sich offenbar nicht mehr in ihrer Welt, nicht auf der Erde oder sonst wo in ihrer Nähe, also war es nicht auszuschließen, besonders nach alldem, was sie bereits erlebt hatten, dass tatsächlich etwas existierte, was den Glauben an Götter rechtfertigen konnte.
Die Glocke auf dem Dorfhauptplatz ertönte und hallte weithin durch das dichte Gehölz des umliegenden Waldes. Sie hatte eine beruhigende Wirkung auf die Herzen ihrer Zuhörer und erfüllte sie mit Hoffnung, doch in Wahrheit täuschte sie jene friedliche Harmonie nur vor. Nach und nach sammelten sich die Dorfbewohner im Haupthaus zur Wahl, wer zum Wohle des Dorfes geopfert werden sollte. Da diese Wahl der Götter bis zu jenem letzten Moment, in dem der Name des Opfers offenbart wird, unvorhersehbar war, lag eine sehr angespannte Stimmung in der Luft, besonders angespannt waren aber jene Fünf, die den Namen aus einer großbäuchigen Tonvase ziehen sollten. Anstelle der Götter war es ihre Aufgabe, den Namen derjenigen Person zu ziehen, deren Schicksal es war, dem Wesen aus der Tiefe dargeboten zu werden. Jeder Dorfbewohner, Kinder wie Kranke, selbst der Dorfälteste konnte durch den Willen der Götter erwählt werden, alle hatten die gleiche Chance, denn es oblag den Fünf, die Namen eines jeden Dorfbewohners auf kleinen Zetteln zu notieren und in die Vase zu werfen. Ihrer harten Vorarbeit und der akribischen Prüfung unter Aufsicht des ständig lächelnden Dorfältesten war es zu verdanken, dass sich alle Namen zum Wahltag in der Tonvase befanden.
Mit Spannung verfolgten die Dorfbewohner die letzten Vorbereitungen. Zum Überraschen Harus war der Wahltag, insbesondere die Wahlzeremonie, wohl für einige wenige Bewohner mehr eine Feierlichkeit als ein Opferritus. Auch Kenzō blickte in die stetig wachsende Menge der Bauern und Händler, Handwerker und Gelehrten und entdeckte zwischen ihnen Shiomi, die zwar ein ängstliches Gesicht machte, aber, als sie den jungen Mann sah, sofort zu lächeln begann und aufgeregt winkte. Er trug wie die anderen vier links von ihm eine feierliche Zeremonienrobe mit aufwendigen Stickereien an den Armen und am Rücken, irgendein religiöses Symbol war in der Mitte auf dem Rücken eingenäht, doch obwohl Kenzō das Zeichen oder Wappen – denn es war recht komplex aufgebaut – nicht zuordnen, geschweige denn dessen Bedeutung entschlüsseln konnte, war es ihm gespenstig vertraut, als hätte es eine ganz besondere Verbindung zu ihm.
„Gleich ist es soweit“, murmelte Ryō und schaute mit einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und Besorgnis auf das tönerne Gefäß, welches unerwartet schlicht ohne Verzierungen oder Gravuren vor ihm aufgestellt war. Lediglich ein schmaler Ring aus einem grünlichen Mineral veredelte es etwas. Dazu war es groß genug, um den jungen Schwarzhaarigen ganz darin zu verstecken, auch wenn es nur unwesentlich höher als breit war. Völlig auf die Vase fixiert bemerkte Ryō nicht, wie Seikan ihn ansprach. Wie hypnotisiert starrte er auf den rötlichen Ton, den grünen Steinring, selbst auf die kleinen Makel wie Risse in der Oberfläche. Sie schien leicht zu vibrieren, ruckelte alle paar Augenblicke ein kleines bisschen. Noch interessierter betrachte Ryō das Gefäß und nahm es in seinem gesamten Ausmaß wahr, konnte es sich vor seinem geistigen Auge aus jedem Winkel vorstellen.
„Hey!“, machte Seikan nun etwas lauter auf sich aufmerksam und stieß dem Jungen in die Seite. Plötzlich gab es einen dumpfen Aufschlag und der Dorfälteste, der bereits mit der Zeremonienrede begonnen hatte, stoppte mitten im Satz. Die Vase war auf dem Boden aufgeschlagen, wenngleich sie nur wenige Millimeter über diesem in der Luft geschwebt war. Ryō räusperte sich leise, nur um im nächsten Moment ein „Verzeihung“ in den schweigenden Raum zu flüstern. Während der Älteste seine Rede fortsetzte, beobachtete der Schwarzhaarige erneut die Vase, doch sie hatte sich aufgehört zu bewegen. Er zuckte ratlos mit den Achseln und lauschte dann den Worten des alten Mannes.
„Daher ist es unsere Pflicht, im Namen der Götter und unseres Dorfpatrons Shintō jedweden Ausgang der Zeremonie als ihren Willen anzuerkennen und ihrem Urteil Folge zu leisten“, rief der Dorfvorsteher mit seiner altersbedingt heiser gewordenen Stimme und hob seine Hände dabei beschwörend empor.
Welcher Gott würde wollen, dass seine Anhänger sich opfern, überlegte Kenzō verständnislos, doch ihm fiel nichts ein, was die Zeremonie stoppen könnte, sodass sie auch nie wieder stattfinden würde – zumindest nichts, was nicht einem gesunden Verstand widersprach. Er sah zu Shō hinüber, demjenigen, der laut aussprach, was er und alle anderen dachten. Ob es wohl wirklich der einzige Weg ist, fragte sich der junge Mann besorgt und blickte hinauf zur Decke. Eine kunstvolle Malerei zierte sie und zeigte die Geschichte des Dorfes und den ersten Angriff des Wesens auf das Dorf. Dargestellt war das Ungetüm als gewaltige Bestie, verhüllt in schwarze Farbe – offenbar sollte sie Rauch darstellen – dessen Kopf und sichtbare Teile des Körpers auf eine Art Chimäre deuteten. Verstört betrachtete der junge Mann die letzte Szene, die sich direkt über den Köpfen der Fünf befand: das Volk der Siedlung war versammelt, vor ihnen thronte das Monster – wieder in schwarze Farbe gehüllt – und der einstige Dorfälteste streckte seine Arme dem Kopf des Ungetümes entgegen. In seinen Händen hielt er ein Neugeborenes, welches als Opfer dargebracht wurde.
„Ein Säugling für das Leben vieler?“, murmelte er fragend und blickte in die Menge vor ihm. Würden diese Menschen, die selben, die sie so freundlich und selbstlos aufgenommen hatten, ein Baby opfern, um damit Menschen zu retten, die schon viel älter und ohnehin deutlich näher am Tod waren? Mittlerweile war der Dorfälteste mit seiner Ansprache zum Ende gekommen und hatte sich an die fünf Auserkorenen gewandt.
„Das wärst wohl dann du“, murmelte Shō grummelnd, während er Kenzō neidisch auf die Tonvase verwies.
„Du sollst als Ältester einen Namen ziehen“, erklärte Haru ihm, als der junge Mann nur fragend auf das Gefäß hinabsah. Langsam schritt er hinüber zur Vase, sein Herz schlug immer schneller und presste sich zunehmend an seine Rippen, je weiter er ging.
Die Person, dessen Namen ich ziehe, wird zum Wohle des Dorfes geopfert, machte sich Kenzō bewusst, als seine Hand tiefer in das Innere des Tontopfes vordrang. Die ersten Zettel berührte er bereits, ein paar schnitten ihm leicht in die Haut. Wie gerne würde er diesen Moment immer weiter hinauszögern, ohne den Tod eines der hier Anwesenden zu verschulden. Wie sehr er doch hoffte, etwas würde ihn aufhalten und diesen Wahnsinn beenden. Er dachte an die Deckenmalerei über ihm, die glücklichen Gesichter all jener, die dem Tod entronnen waren, all jener, die einen Säugling guten Gewissens geopfert haben, um ihre eigene Haut zu retten...
„Shiomi“, flüsterte Ryō, als er über den Rand der Vase spähte, um den Namen auf dem kleinen, gelblichen Zettel lesen zu können, den Kenzō unbewusst gegriffen und mechanisch entfaltet hatte. „Kenzō, es ist Shiomi!“
Geschockt starrte er auf das Stück Papier in seinen Händen, auf dem in einer recht unordentlichen Handschrift die Lettern Shiomis geschrieben standen.
この作品はドイツ語で書いてあります。
日本語が話せますが、小説を書くレベルではありません。
それにしてもアップロードしたいと思います。もしドイツ語が分かる日本人が居れば、協力して翻訳できるかもしれないかなぁと思って(/・ω・)/
自分で少しだけ翻訳したんですが、やっぱり日本語能力が足りないので、日本語のネイティブな人に任せた方がいいと思います。
「2 Souls」という話は2011年12月から考えてるので、もう結構長くなってしまいました。「Origin」のはパイロットストーリーで話の始まりだけです。
主人公は五人います。
影元精閑、椎葉春子、村上勝利、山崎賢造、そして中邑龍太。性格の合わない人ですが、途中で仲間になって死ぬまで一緒に戦う。
異世界の話で、ジャンルは多分ファンタジーアドベンチャーですが、テーマは人間関係とか生き甲斐とか価値観だと思います。もちろん、笑わせる時もあるんですが、泣かせる時もあると思います。ストーリーが進んだら暗くなります。
読みながら、色々なことについて考え始めるかもしれません。そうなったら素晴らしいと思います!そういうつもりだからです!考えたくない人にとって、素敵なアドベンチャーになりますが、考えたい人にとって意味の深い旅になったらいいと思います。
少し自慢してすみません。このプロジェクトは僕に大事で、成功にしたいと思います。だから、読者の皆様、協力していただけませんか?
詩嵜 ( ..)φ